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Continental, Tesla, der Autozulieferer ZF, Miele, SAP, Vaillant, Samsung, Schenker. Die Meldungen über den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen bei großen Industrieunternehmen in Deutschland reißen nicht ab. Sogar ganze Standorte werden ins Ausland verlagert. Woran liegt das? Was läuft schief in diesem Land? Wenn Sie dies ergründen wollen, machen Sie mit uns eine virtuelle Reise. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns. Nein, wir wollen Oliver Blume, den aktuellen CEO der Volkswagen AG, nicht infrage stellen. Es geht ausschließlich um ein Gedankenexperiment. Und wir haben dafür einen Automobilkonzern gewählt, weil jeder das Produkt Auto kennt und versteht. Die meisten haben eines oder mehrere zu Hause.
Sie sind also jetzt der CEO von VW. Herzlichen Glückwunsch! Ihr Unternehmen ist einer der größten Autobauer der Welt und beschäftigt aktuell rund 684.000 Mitarbeiter! Sie machen weltweit 322 Milliarden Euro Jahresumsatz, das sind rund 72 % des gesamten Bundeshaushaltes. Neben der Kernmarke Volkswagen gehören zu Ihrem Konzern auch noch Porsche, Audi, Seat und Skoda sowie die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini. Nicht unerwähnt bleiben soll das LKW-Geschäft mit MAN und Scania sowie die Motorradmarke Ducati. Zum Konzern gehört natürlich auch der Bereich Finanzdienstleistungen. Irgendwer muss die ganzen Autos schließlich auch finanzieren bzw. verleasen, denn fast niemand kauft heute mehr ein Auto mit Eigenkapital.
Natürlich baut Volkswagen auch Elektroautos. Erwähnt seien hier der VW ID.3, der ID.4 oder die Stromer der Marke Cupra, die zu Seat gehört. Damit die Elektroflotte auch in Zukunft angetrieben und von Konkurrenzprodukten unabhängig ist, baut VW im polnischen Nysa derzeit eine eigene Batteriefabrik. Bestimmt haben wir einige Unternehmensteile unerwähnt gelassen. Sehen Sie angesichts so vieler großer Marken bitte einmal darüber hinweg.
Zu den Eigentümern Ihres weltweit operierenden Mobilitätskonzerns gehören die Familien Porsche und Piëch, das Emirat Katar und mit 20 % der Anteile das Land Niedersachsen. Die öffentliche Hand mit im Boot zu haben, gibt Ihnen ein gutes Gefühl, denn der Staat wird schon dafür sorgen, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht aus dem Ruder laufen. Denken Sie …
Alles könnte so schön und einfach sein. Wenn da nicht die graue – Verzeihung bunte – Eminenz der Klimaschützer, wie die Deutsche Umwelthilfe, wäre. Bis inklusive 2024 müssen die Hersteller nun für ihre gesamten PKW-Flotten den Grenzwert von 122 g CO2/km einhalten (nach dem alten NEFZ-Verfahren waren es 95 g/km). Für Autos mit Ottomotor entspräche dies einem Verbrauch von circa 4,1 l/100 km, mit Dieselmotor circa 3,6 l/100 km. Ab 2025 wird der Grenzwert um weitere 15 % gesenkt, ab 2030 noch einmal um 37,5 %. Möchten Sie immer noch Vorstandsvorsitzender sein?
Unglücklicherweise möchten die Menschen in unserem Land gern SUV fahren. Oder andere mächtig gewaltig motorisierte Geschosse. 1999 wollte VW das 3-Liter-Auto namens Lupo etablierten. Doch das Projekt scheiterte damals. Heute ist das 3-Liter Auto Gang und Gäbe, allerdings nicht beim Verbrauch, sondern beim Hubraum! Die zum Konzern gehörenden Edel-Marken haben wir ja etwas weiter oben aufgelistet. Die meisten Fahrzeuge dieser Marken stehen nicht unbedingt im Verdacht 95 g CO2/km oder weniger auszustoßen.
Aber wo ist das Problem? Es gibt doch die Elektroautos! Die dürfen mit 0 g CO2/km angerechnet werden. Da ist die EU großzügig und lässt die verheerende CO2-Bilanz bei der Batterieherstellung mal galant unter den Tisch fallen. Und schon wieder gibt es ein Problem, mit dem Sie sich als CEO herumschlagen müssen. Die Deutschen haben nämlich die Stromer überwiegend nur gekauft, um die staatliche Förderung abgreifen zu können. Und die Automobilhersteller haben die Milliardeninvestitionen für neue Werke und Fertigungsstraßen nur getätigt, weil sie darauf vertrauten, daß der Staat den Kauf der relativ teuren E-Autos subventionieren würde. Die 6.750 € Umweltbonus fielen aber Ende 2023 weg, weil der Finanzminister dringend sparen muß. Also: keine Kaufprämie – keine E-Autos – keine Kompensation des CO2-Austausches der SUVs, Edel-Limos und Mega-Sportwagen.
Um einen Lamborghini mit 495 g CO2 zu kompensieren, braucht es also vier verkaufte Stromer mit 0 g CO2, um den Durchschnittsverbrauch in die Nähe von 100 g CO2 zu bringen. Nun will die Elektroautos aber keiner haben, den Lambo aber schon. VW soll sogar in Kaufverträgen für große Autos schwimmen, von 100.000 Stück ist in Insiderkreisen die Rede. Das Dilemma: VW kann sie nicht ausliefern. Denn dann würden Hunderte Millionen Euro Strafgelder für die Überschreitung des gesetzlichen Durchschnittsverbrauchs fällig.
Aber Sie sind ein schlauer und vorausschauender Vorstandsvorsitzender: VW hat schon vor ein paar Jahren begonnen, seine E-Autos in China zu produzieren, um hierzulande deutlich preiswerter verkaufen zu können. Auch ohne Kaufprämie. Ein guter Plan, oder?
Doch auch diese Tür wurde in Brüssel mit einem lauten Knall zugeschlagen, als die EU Strafzölle für alle Autos, die in China gebaut und ab Oktober 2024 importiert werden, beschloss. 21,3 % soll der Zoll auf China-E-Autos von Volkswagen betragen. Das führt dazu, dass die im Vergleich zu Verbrennern ohnehin teureren ungeförderten E-Autos nun wie Blei bei den Händlern auf Halde stehen.
Der Automarkt hat sich wirklich grundlegend geändert. Die älteren unter den Lesern werden sich noch daran erinnern, wie wir früher in den Pausen auf dem Schulhof Quartett gespielt haben. Heute wäre das natürlich uncool. Geht das überhaupt auf dem Smartphone? Jedenfalls spielten wir Quartett. Und manchmal auch eines mit Autos. Der Star war bei uns ein 59er cremefarbener Cadillac Fleetwood – ein Traum aus Blech, Leder und Chrom! Wer den hatte, gewann meistens das Spiel: 5,70 m lang, 325 PS, V8, 6,3 l Hubraum, Höchstgeschwindigkeit 195 km/h – das war allerdings seine Achillesferse, denn die Sportwagen im Spiel waren schneller und konnten den Cadillac schlagen. Mega. Tatsächlich gibt es auch heute noch Auto-Quartetts. Aber der Hubraum ist der CO2-Emission gewichen. Und heute sticht der niedrigste Verbrauch – nicht mehr die Höchstgeschwindigkeit. Warum eigentlich nicht die Reichweite der Batterie? Oder der Anteil der recycelten Materialien?
Wenn Sie als CEO einen Automobilkonzern wie VW führen wollen, dann müssen Sie einen gordischen Knoten lösen. Sie müssen konkurrenzfähige Autos zu moderaten Preisen anbieten, die mit einer Tankfüllung oder Batterieladung möglichst weit kommen und möglichst kein oder zumindest wenig CO2 ausstossen. Natürlich müssen Sie Gewinne erwirtschaften. Ihre Aktionäre wollen Rendite sehen und Dividenden einstreichen.
Und eines, eines dürfen Sie, lieber Vorstandsvorsitzender, auf gar keinen Fall tun! Auch wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, auf die Sie vertraut haben, ändern. Auch wenn die Autos, die Sie bauen, keiner mehr will. Auch wenn Sie die Autos, die alle wollen, nicht verkaufen können. Auch wenn die Chinesen ihre konkurrierenden Fahrzeuge massiv subventionieren und sogar eigene Schiffe bauen, um die China-Stromer massenweise nach Europa verschiffen zu können. Auch wenn die Aktionäre nach Rendite schreien, die Sie nicht erwirtschaften können. Auch wenn die Gewerkschaften Lohnforderungen stellen, die Sie niemals erfüllen können. Auch wenn Sie die Umweltziele niemals einhalten können, die die EU fordert. Sie dürfen nicht einmal darüber nachdenken, die Gewerkschaften zu düpieren. Das geht gar nicht! Das wissen Sie doch! Wenn Sie gar Tarifverträge kündigen, weil Sie angesichts des einbrechenden Geschäfts die ganzen Mitarbeiter und Azubis nicht mehr beschäftigen können, dann werden die Medien geradezu über Sie herfallen. Und natürlich auch die Politiker. Hmm – wer hielt noch mal 20 % der VW-Aktien? Nun – möchten Sie immer noch Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns sein?
Weiterführende Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Volkswagen_AG
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/eu-china-zoelle-e-auto-100.html