Gedanken zur Wiedervereinigung

Seit 30 Jahren sind wir in Deutschland wiedervereinigt. Nach wie vor ist das für mich eine Freude und ein Wunder zugleich. Dass es dieses Wunder gegeben hat, war nicht das Verdienst von uns Westdeutschen, sondern Deutschland verdankt das dem Mut und der Ausdauer unserer ostdeutschen Landsleute.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gerieten die Menschen, die in der früheren DDR ihr zu Hause hatten, von einer Diktatur nahtlos in die nächste. Von einer Unterdrückung in die nächste.

Sehr früh gab es 1953 den ersten Aufstand, um diese Herrschaft abzuwerfen. Es endete in einem Blutbad. Die Zügel wurden noch schärfer angezogen bis hin zum Mauerbau.

So konnte 1989 niemand davon ausgehen, dass auch die Montagsdemonstrationen nicht in einem Blutbad enden würden. Mutige Bürgerrechtler und Tausende von Bürgern gingen Montag für Montag unverzagt in vielen Städten der DDR, nicht nur in Leipzig, auf die Straße, um für mehr Freiheit zu demonstrieren. Friedlich!

Diesen mutigen Deutschen verdanken wir, dass beide Teile Deutschlands wieder zusammengefügt werden konnten, dass Freiheitsrechte auch im Osten gelebt werden konnten.

Zunächst mit Sorge und zunehmend auch mit Entsetzen stellten in den letzten Jahren unsere Landsleute im Osten schneller noch als diejenigen im Westen fest, dass ihnen diese Freiheiten Schritt um Schritt wieder verloren gehen. Mit ihrem Sensorium aus einer erlebten Diktatur müssen sie heute feststellen, dass Meinungsfreiheit oft nur noch hinter vorgehaltener Hand ungestraft möglich ist. Sie stellen sogar fest, dass der Kontakt mit Personen, die sich nicht dem Zeitgeist gemäß verhalten, sogar den Arbeitsplatz kosten kann.

Erst langsam setzt sich diese beklemmende Erkenntnis auch bei unseren Bürgern im Westen durch. Erst langsam verspürt man den politischen und gesellschaftlichen Druck, der auch sie nicht ausnimmt, der auch sie umfaßt.

Die Aufgabe unserer Stiftung liegt nun darin, dass wir dazu beitragen, das Bewußtsein für die Bedrohung unserer Freiheitsrechte zu schärfen, zu sensibilisieren. Es ist eine gewaltige Herausforderung für unsere Stiftung landauf, landab deutlich zu machen, dass ohne Freiheitsrechte, ohne Rechtsstaatlichkeit jede Demokratie zugrunde geht, ja keine Demokratie mehr ist.

In diesem Sinne empfand ich den diesjährigen Tag der deutschen Einheit auch als einen Weckruf, uns gemeinsam die Freiheiten nicht nehmen zu lassen, für die unsere ostdeutschen Landsleute unter Gefahr ihres Lebens auf die Straße gegangen sind.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre

Erika Steinbach

Vorsitzende

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